Datenschutzrechtlicher Auskunftsanspruch gegenüber dem Finanzamt

Das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 12. März 2024 (Az.: IX R 35/21) dürfte weitreichende Auswirkungen für die Finanzverwaltung haben. In der Entscheidung des 9 Senats wurde geklärt, dass ein Auskunftsanspruch nach Art. 15 Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) des Steuerpflichtigen gegenüber der Finanzverwaltung dem Grunde nach besteht. Die Herausgabe von Dokumenten, Kopien oder Auszügen etc. nach Art. 15 Abs. 3 DSGVO sei aber nur dann erforderlich, wenn diese unerlässlich ist, um der betroffenen Person die wirksame Ausübung ihrer Betroffenenrechte zu ermöglichen.

 

Der Sachverhalt

Der Kläger erhob gegen das Finanzamt Klage gegen die Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag für die Jahre 2013 bis 2015. Im Verfahrensverlauf begehrte der Kläger die Überlassung der vollständigen Steuerakte inklusive sämtlicher Nebenakten sowie der darin enthaltenen Vermerke in elektronischer Form, hilfsweise durch die Vorlage unentgeltlicher Kopien.

Das Finanzamt verweigerte die Herausgabe der vollständigen Steuerakte des Klägers und führte demgegenüber an, dass es bereits zweifelhaft sei, ob der vom Kläger geltend gemachte Auskunftsanspruch unter den sachlichen Anwendungsbereich der DSGVO fällt. Denn die Vorschriften der DSGVO seien im Bereich des Steuerrechts nur auf harmonisierte Steuern (wie etwa die Umsatzsteuer)  anwendbar, nicht dagegen auf dem Gebiet der Einkommen- bzw. Gewerbesteuer. Das Finanzamt bot dem Kläger leidglich an, bestimmte zum Kläger verarbeitete Daten (wie Grunddaten-Übersicht, Kopien der Bescheide zu den Gewerbesteuermessbeträgen 2013 bis 2015, Auskunft über die maschinelle Überwachung der Steuerfälle und aus der  Datenbank-Rechtsbehelfe) unentgeltlich zur Verfügung zu stellen.

Das Urteil

Der BFH stellte zunächst klar, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten natürlicher Personen durch das Finanzamt im Rahmen eines Besteuerungsverfahrens unabhängig von der Art der Besteuerung den Vorgaben der DSGVO unterliegt. Die Ausnahmen vom sachlichen Anwendungsbereich der DSGVO sind in Art. 2 Abs. 2 und Abs. 2 DSGVO abschließend geregelt. Die dort genannten Ausnahmen sind eng auszulegen. 
Nach Art. 2 Abs. 2 lit. a) DSGVO findet die DSGVO keine Anwendung auf die Verarbeitung personenbezogener Daten im Rahmen einer Tätigkeit, die nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt. Ausgenommen sind demnach nur Verarbeitungen durch öffentliche Stellen im Rahmen einer Tätigkeit, die der Wahrung der nationalen Sicherheit dient, oder einer Tätigkeit, die derselben Kategorie zugeordnet werden kann. Für die Durchführung des Besteuerungsverfahrens durch die Finanzverwaltung gilt der Ausnahmetatbestand daher nicht, da das Besteuerungsverfahren nicht einer Tätigkeit dient, die derselben Kategorie wie die nationale Sicherheit zuzuordnen ist. Auch der unionsrechtliche Effektivitätsgrundsatz gebietet eine Anwendung der DSGVO im Bereich der Verwaltung direkter Steuern, um ein möglichst hohes und einheitliches Datenschutzniveau innerhalb der EU zu gewährleisten.

Darüber hinaus ist es für die Anwendung der DSGVO unerheblich, dass die personenbezogenen Daten in Akten enthalten sind, die von der Finanzverwaltung in Papierform geführt werden. Der Schutz der DSGVO soll nicht davon abhängen, welche Techniken bei der Verarbeitung personenbezogener Daten verwendet werden. Auf eine Differenzierung nach der Art der Aktenführung, der Art der Dokumente oder der Form der Bearbeitung kommt es nicht an.

Zum Umfang des Auskunftsanspruchs nach Art. 15 DSGVO führt der BFH aus, dass Art. 15 Abs. 1 DSGVO der betroffenen Person das Recht einräumt, von dem Verantwortlichen eine Bestätigung darüber zu verlangen, ob personenbezogene Daten der anfragenden Person verarbeitet werden. Ist dies der Fall, hat die betroffene Person einen Anspruch auf die in Art. 15 Abs. 1 lit) a bis h) DSGVO näher bezeichneten Informationen. Ein Anspruch auf Zurverfügungstellung einer Kopie von Auszügen aus Dokumenten oder sogar der gesamten Steuerakte  oder auch von Auszügen aus Datenbanken nach Art. 15 Abs. 3 DSGVO besteht jedoch nur, soweit dies unerlässlich ist, um der betroffenen Person die wirksame Ausübung ihrer Betroffenenrechte zu ermöglichen. Der Anspruch auf eine Kopie besteht daher nur ausnahmsweise, da regelmäßig die Mitteilung, welche personenbezogenen Daten und zu welchem Zweck verarbeitet werden, ausreicht, um die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung zu überprüfen. Das bedeutet, dass das Finanzamt in der Regel nicht verpflichtet ist, Kopien von Akten oder Unterlagen herauszugeben.

Im konkreten Fall ging der BFH davon aus, dass das Instanzgericht keine ausreichenden Feststellungen getroffen hat, ob und inwiefern der Kläger geltend gemacht hat, dass die begehrten Kopien für ihn unerlässlich sind, um ihm die wirksame Ausübung der ihm durch die DSGVO verliehenen Rechte zu ermöglichen. Aufgrund der unzureichenden Feststellungen verwies dar BFH die Sache an das Finanzgericht  zurück. Das Finanzgericht wird insbesondere die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu berücksichtigen haben, wonach sich die Wiedergabe von Auszügen aus Dokumenten oder von ganzen Dokumenten als unerlässlich erweisen kann, wenn diese in ihrem Zusammenhang dargestellt werden müssen, um ihre Verständlichkeit zu gewährleisten (EuGH v. 26.10.2023 – C-307/22).

Der Auskunftsanspruch darf durch die Finanzverwaltung grundsätzlich nicht zurückgewiesen werden. Eine Ausnahme besteht nur für den Fall, dass der Antrag offenkundig unbegründet oder exzessiv ist. Die Finanzverwaltung hat als datenschutzrechtlicher Verantwortlicher jedoch insoweit den Nachweis für den unbegründeten oder exzessiven Charakter des Antrags zu erbringen. Auch insoweit fehlten nach Ansicht des BFH Feststellungen seitens des Finanzgerichts.

Fazit

Der 9. Senat des BFH nahm erstmals Stellung  zum datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruch gem. Art 15 DSGVO gegenüber den Finanzbehörden. Das Urteil schafft für Steuerpflichtige nicht nur Rechtssicherheit, sondern bewirkt auch  eine Stärkung des Datenschutzes und der Transparenz im Bereich der Finanzverwaltung. Für die Steuerpflichtigen bedeutet dies erweiterte Auskunftsrechte über ihre personenbezogenen Daten, während die Finanzbehörden mit einem erhöhten Verwaltungsaufwand rechnen müssen.

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