Sterbehilfe: Palliativmediziner im Visier der Strafverfolgungsbehörden

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hatte mit seinem Urteil vom 26. Februar 2020 – 2 BvR 2347/15 – eine wegweisende Entscheidung zum Thema Sterbehilfe und dem Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung durch Palliativmediziner erlassen. Unter anderem hatten die Richter die Verfassungswidrigkeit der Regelung des § 217 StGB, der die geschäftsmäßige Förderung von Sterbehilfe unter Strafe stellte, festgestellt und den Gesetzgeber aufgefordert, ein neues Regelwerk unter Beachtung des Rechts auf ein selbstbestimmtes Sterben zu schaffen. Bis heute ist diesbezüglich jedoch nichts geschehen.

Der Senat ließ sich bei seiner Entscheidung von dem grundgesetzlich verankerten Persönlichkeitsrecht des Art. 2 Abs.1 i. V. m. Art. 1 GG leiten. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasse neben dem Recht auf ein selbstbestimmtes Leben auch das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben. Dieses Recht umfasse auch die Freiheit, sich das Leben zu nehmen und dabei auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen. Die in Wahrnehmung dieses Rechts getroffene Entscheidung des Einzelnen, seinem Leben ein Ende setzen zu wollen, sei als Akt autonomer Selbstbestimmung von Staat und Gesellschaft zu respektieren.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts liegt mittlerweile vier Jahre zurück. Obgleich das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber einen klaren Auftrag erteilt hat, ein neues Regelwerk unter Beachtung des Selbstbestimmungsrechts zu schaffen, ist außer der immer wieder aufflammenden Diskussion über den ärztlich assistierten Suizid nichts geschehen. Der Gesetzgeber hat es bis zum heutigen Zeitpunkt versäumt, eine Regelung auf den Weg zu bringen, die es den Betroffenen ermöglicht, ihr Recht auf selbstbestimmtes Sterben unter Zuhilfenahme ärztlicher Unterstützung wahrzunehmen. Vielmehr zeichnet sich in der jüngsten Vergangenheit ab, dass Palliativmediziner sogar häufiger als bislang in den Fokus der Strafermittlungsbehörden geraten.

Das Landgericht Essen hat einen Arzt zu drei Jahren Haft verurteilt, nachdem er einem an paranoider Schizophrenie, Wahnvorstellungen und Depressionen erkrankten Mann bei seinem Suizid assistierte. Die Richter waren davon überzeugt, dass es dem Patienten aufgrund seiner schweren psychischen Erkrankung nicht möglich war, die Tragweite seines Handelns zu erfassen und auf dieser Basis frei verantwortlich zu entscheiden.

Das Landgericht Berlin verurteilte einen pensionierten Hausarzt wegen Totschlags zu einer dreijährigen Haftstrafe. Der Arzt hatte einer Studentin, die unter Depressionen litt, bei der Durchführung des Suizids Hilfe geleistet. Das Gericht ging auch in diesem Fall davon aus, dass die Studentin aufgrund der psychischen Erkrankung nicht freiverantwortlich entscheiden konnte.

Am 26. April 2024 wurde ein Arzt der Charité wegen zweifachen Totschlages zu vier Jahren Haft verurteilt. Er habe zwei schwersterkrankten 73-jährigen Patienten zur Schmerzlinderung eine zu hohe Dosis des Anästhetikums Propofol verabreicht. Eine Patientenverfügung lag nicht vor, eine Abstimmung mit den Angehörigen unterblieb ebenfalls.

Am 31. Mai 2024 wurden in Wuppertal zwei ambulant tätige Palliativmediziner verhaftet und zunächst in Untersuchungshaft genommen, zeitgleich fanden Durchsuchungen der ambulanten Pflegeeinrichtungen zum Zwecke der weiteren Ermittlungen bei Verdacht auf Tötungsdelikte statt. Die beiden Mediziner sind inzwischen aus der Haft entlassen und arbeiten weiter.

Aktuell ermittelt die Staatsanwaltschaft Aachen gegen einen Pfleger des Klinikums in Würselen wegen Mordverdachts. Der Pfleger soll auf der Palliativstation in mehreren Fällen Patienten getötet haben.

All diese Fällen zeigen, dass die Frage der Selbstbestimmung und der Freiverantwortlichkeit das wesentliche Element darstellt, um die Abgrenzung des strafrechtlich erheblichen Handelns von der straffreien Suizidhilfe vornehmen zu können. Die Politik ist nun stärker denn je aufgefordert, die bestehende rechtliche Grauzone durch den Erlass von Regelungen, die dem geforderten Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen auf der einen und dem Schutz des Lebens auf der anderen Seite Rechnung tragen, zu beseitigen. Auch für die behandelnden Palliativmediziner, die dem betroffenen Personenkreis ihre Begleitung zum menschenwürdigen Sterben angedeihen lassen wollen, braucht es klare Regelungen. Die Ärzte, die sich im Bereich der Palliativmedizin bewegen und mit der Fragestellung des assistierten Suizids in Berührung kommen, müssen klare rechtliche Rahmenbedingungen erhalten, in denen ihr Handeln straffrei ist. Die Strafverfahren in der jüngsten Zeit zeigen eindrücklich, dass die Grenze zwischen dem Vorliegen eines Tötungsdeliktes und der strafrechtlich nicht relevanten Hilfe zum Suizid fließend ist.

Seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist der § 217 StGB zwar nicht mehr anwendbar. Aber die Gefahr der Verurteilung wegen eines Tötungsdeliktes und der damit verbundenen erheblichen Kriminalisierung der Ärzteschaft nimmt zu. Die Fachverbände sind sich einig, dass eine Neuregelung für diesen auf vielen Ebenen schwierigen Bereich gefunden werden muss. Im Juli 2023 hat der deutsche Bundestag indes zwei Gesetzesentwürfe zur Reglementierung des Bereichs der Sterbehilfe zurückgewiesen.

Fazit

Um dem sterbewilligen Menschen die Wahrnehmung seines grundrechtlichen geschützten Willens zu ermöglichen und dem unterstützenden Arzt die Rahmenbedingungen an die Hand zu geben, die es ihm erlauben, eine rechtsichere Abwägung vornehmen zu können, ist eine klare Regelung zwingend erforderlich. Heiner Melching, Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin; äußerte sich im Juli 2023 hierzu wie folgt: „Wir brauchen weitere Kenntnisse, die differenzierte Betrachtung verschiedener Gruppen bezüglich ihres Suizidwunsches und eine klare Priorisierung der Suizidprävention, ohne Menschen mit einem freiverantwortlichen und dauerhaften Wunsch nach Suizidassistenz aus dem Blick zu verlieren. Insgesamt werden Qualifikationen im Umgang mit Sterbewünschen unumgänglich sein, dafür wird sich die DGP einsetzen.“ Es bleibt zu hoffen, dass sich der Gesetzgeber alsbald auf seine Verantwortung besinnt und die lang ersehnte Klarheit durch die Verabschiedung einer eindeutigen und mit dem Grundgesetz zu vereinbarenden Regelung schafft.

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