Verdrängen die kirchenrechtlichen Datenschutzregelungen die DS-GVO?

Art. 91 Abs. 1 DS-GVO sieht vor, dass kirchenrechtliche Datenschutzregelungen vorrangig anzuwenden sind, sofern sie mit der DS-GVO in Einklang stehen. Umstritten war, ob sich ein Betroffener auf Ansprüche der DS-GVO berufen kann, sofern die kirchenrechtlichen Regelungen keinen entsprechenden Anspruch vorsehen. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg hat in seinem Urteil vom 27. Oktober 2023 – 7 Sa 35/23 – diesbezüglich nun Klarheit geschaffen.


Der Fall

Die Klägerin war bei der beklagten Kirchengemeinde als Organistin und Chorleiterin beschäftigt. Am 15. Mai 2006 fand bei der Beklagten eine nichtöffentliche Kirchengemeinderatssitzung statt, über die ein Protokoll erstellt wurde. In der Sitzung, an der die Klägerin nicht teilnahm, wurden Vorwürfe gegen die Klägerin erhoben und arbeitsrechtliche Maßnahmen wie der Einsatz der Klägerin als Springerin im gesamten Kirchenbezirk beschlossen. Die Klägerin hatte keine Gelegenheit, sich gegen die Vorwürfe zu verteidigen. Sie versuchte in der Folgezeit erfolglos, Auskunft über den Inhalt der Kirchengemeinderatssitzung zu erlangen. Die Herausgabe einer Kopie des Protokolls wurde ihr gestützt auf § 19 Abs. 2 DSG-EKD wegen eines schutzwürdigen Geheimhaltungsinteresses verweigert. Die Klägerin ist der Meinung, ihr stehe ein Anspruch auf Herausgabe einer Kopie des Sitzungsprotokolls aus Art. 15 Abs. 3 S. 1 DS-GVO zu, da das DSG-EKD nicht „im Einklang“ mit der DS-GVO stehe und daher die DS-GVO nicht verdränge. § 19 DSG-EKD verkürze nämlich die Auskunftsrechte der Betroffenen. Die Klage wurde vom Arbeitsgericht Stuttgart abgewiesen. Die Klägerin legte gegen das Urteil Berufung ein.


Die Entscheidung

Das LAG Baden-Württemberg wies die Berufung zurück. § 91 Abs. 1 DS-GVO regelt, dass kirchenrechtliche Datenschutzregelungen vorrangig anwendbar sind und die DS-GVO verdrängen, wenn sie mit dieser in Einklang stehen und bereits vor Inkrafttreten der DS-GVO bestanden. Beides trifft nach Ansicht des LAG auf die Regelungen des DSG-EKD zu. Insbesondere wäre eine vollständige Identität des kirchlichen Datenschutzgesetzes mit der DS-GVO nicht mit den Bestimmungen des Art. 17 AEUV vereinbar, welche eine Sonderstellung der Kirchen innerhalb der Europäischen Union gewährleisten. Eine solche Identität würde zudem die Vorschrift des Art. 91 Abs. 1 DS-GVO überflüssig machen.

Daraus folgt, dass § 19 DSG-EKD, als Teil des kirchenrechtlichen Datenschutzes, die entsprechende Reglung des Art. 15 Abs. 3 S. 1 DS-GVO verdrängt. Die Vorschrift des § 19 DSG-EKD sieht jedoch – anders als Art. 15 Abs. 3 S. 1 DS-GVO – keinen Anspruch auf Herausgabe einer Kopie vor, so dass die Klage unbegründet ist.


Fazit

Das Urteil bekräftigt die in der Literatur und Rechtsprechung herrschende Ansicht, dass die kirchlichen Regelungen im Einklang mit der DS-GVO stehen. Art. 91 Abs. 1 DS-GVO fordert keine vollständige Identität mit der DS-GVO, sodass die DS-GVO durch die kirchenrechtlichen Vorschriften verdrängt wird. Nach erfolgreicher Nichtzulassungsbeschwerde steht nunmehr ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) an. Sollte das BAG die Frage nach dem Verhältnis von kirchlichem Datenschutz und DS-GVO als entscheidungserheblich betrachten, wird es die Angelegenheit dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorlegen. Somit wäre es möglich, dass sich der EuGH erstmals zu Art. 91 DS-GVO äußert.

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