Digitale Angebote und Online-Veranstaltungen in der Umsatzsteuer

Die fortschreitende Digitalisierung in allen Unternehmensbereichen ist auch im Bereich der Veranstaltungen nicht aufzuhalten. Neben vielen Online-Angeboten in Kunst und Kultur werden auch zahlreiche Angebote im Bereich der Aus- und Weiterbildung in reine Online-Formate oder auch hybride Veranstaltungen (gemischte Präsenz- und Online-Schulungen) umgewandelt. Dies gilt auch zunehmend für Leistungen in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft bis hin zur ärztlichen Heilbehandlung im Rahmen einer Online-Sprechstunde. Aus den praktischen Veränderungen in der Leistungserbringung ergeben sich in Bezug auf deren umsatzsteuerliche Einordnung unter Berücksichtigung von Art. 58 MwStSystRL zu elektronischen Dienstleistungen weitere Fragen. Dies hat das Bundesfinanzministerium (BMF) veranlasst, in seinem Schreiben vom 29. April 2024 – III C 3 - S 7117-j/21/10002 :004 – die verschiedenen Formate unter Berücksichtigung der Leistungsempfänger umsatzsteuerlich zu bewerten.


Live-Streaming

Die Angebote werden heutzutage neben den klassischen Präsenzveranstaltungen auch durch Live-Übertragungen oder vorproduzierte Aufzeichnungen digital zur Verfügung gestellt. Die Differenzierung nach Live-Streaming und vorproduzierten Inhalten dient der Verwaltung als Abgrenzungskriterium für die weitere Einordnung und Betrachtung des Leistungsortes und einer möglichen Steuerbefreiung oder Steuerermäßigung.

Insbesondere kulturelle, künstlerische und bildende Veranstaltungen sowie Sport und Unterhaltung in Präsenz richten sich mit Blick auf die Umsatzsteuerbarkeit gem. § 3a Abs. 3 Nr. 3a und Nr. 5 UStG nach dem Leistungs- und somit Veranstaltungsort. Im Falle des Live-Streamings, einer parallelen oder auch ausschließlichen Echtzeitübertragung der Inhalte, bestehen jedoch keine eindeutigen gesetzlichen Regelungen. Anknüpfungspunkt ist nach Verwaltungsauffassung, dass das Live-Streaming mehr als nur eine minimale menschliche Beteiligung für die Durchführung erfordert und auch nicht automatisiert erfolgt. Hier ist nach Auffassung des BMF im sogenannten B2B-Bereich (Leistungen zwischen Unternehmern) auf den Empfängerort i. S. d. § 3a Abs. 2 UStG und im sogenannten B2C-Bereich (Leistungen von Unternehmen an Endverbraucher) auf den Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthaltsort des Empfängers abzustellen und damit die grundsätzliche Steuerbarkeit der Leistung im Inland abzuleiten.
 

Vorproduzierte Inhalte

Oftmals werden Veranstaltungen auch vorproduziert und in digitaler Form so zur Verfügung gestellt, dass zu einem späteren Zeitpunkt auf diese Inhalte über das Internet oder andere elektronische Geräte zugegriffen werden kann. Diese vorproduzierten Inhalte stellen gegenüber dem Live-Streaming elektronische Leistungen i. S. d. Art. 58 MwStSystRL dar, die regelmäßig ohne nennenswerte menschliche Beteiligung automatisch erfolgen. Die Aufzeichnungen, die nur über das Internet oder andere elektronische Geräte abgerufen werden können, sind als sonstige Leistung ebenfalls nach dem oben dargestellten Empfängerortprinzip zu würdigen. Vorproduzierte Aufzeichnungen im Internet, die auch zeitgleich durch einen Rundfunk- oder Fernsehsender ausgestrahlt werden, gelten im Übrigen als Rundfunk- bzw. Fernsehdienstleistung.
 

Mögliche Umsatzsteuerbefreiungen für Echtzeitformate

Soweit der Leistungsort für das Live-Streaming im Inland liegt, sind mögliche Umsatzsteuerbefreiungen i. S. d. § 4 UStG zu prüfen. Vorrangig stellt das BMF hierbei auf Umsätze der nach § 4 Nr. 20 UStG begünstigten Einrichtungen (z. B. Theater, Orchester, Museen und Büchereien) ab; alternativ greift auch eine Steuerermäßigung nach § 12 Abs. 2 Nr. 7 UStG. Nicht außer Acht zu lassen sind auch mögliche Befreiungen nach § 4 Nr. 21 und Nr. 22 UStG für unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienende Leistungen, zum Beispiel für Online- bzw. Hybrid-Unterricht oder Vorträge und Kurse wissenschaftlicher oder belehrender Art, die von juristischen Personen des öffentlichen Rechts, Akademien, Volkshochschulen oder gemeinnützigen Einrichtungen durchgeführt werden, wenn die Einnahmen überwiegend zur Deckung der Kosten verwendet werden.

Neben solchen größeren interaktiven Veranstaltungen in Echtzeit ist aber auch die Umsatzsteuerbefreiung im Bereich der Heilbehandlungen gem. § 4 Nr. 14 UStG beachtenswert und findet Anwendung in der umsatzsteuerlichen Einordnung einer Online-Sprechstunde zwischen Arzt und Patienten. Auch die Betreuung von psychisch und seelisch erkrankten oder behinderten Personen im Wege einer Online-Sprechstunde kann steuerbefreit sein.

Für vorproduzierte Dienstleistungen oder Rundfunk- bzw. Fernsehdienstleistungen greifen die vorgenannten Befreiungsvorschriften regelmäßig nicht, denn Aufzeichnungen unterliegen als elektronische Leistungen der Umsatzsteuerpflicht. So ist beispielsweise das Angebot einer Online-Fortbildung im Bereich der Berufsausbildung nach § 4 Nr. 21 UStG von der Umsatzsteuer befreit, während der Verkauf einer im Vorfeld produzierten Aufzeichnung dieses Lehrinhaltes – ohne Verknüpfung zu einem Live-Stream oder einer Präsenzveranstaltung – der Umsatzsteuer unterliegt.
 

Leistungsumfang bei Leistungskombinationen

Werden seitens des leistenden Unternehmens sowohl ein Live-Streaming als auch zusätzlich Aufzeichnungen angeboten, so besteht nach Verwaltungsauffassung eine Leistungskombination, welche nach allgemein bekannten Regelungen zur Einheitlichkeit von Leistungen zu würdigen ist. Möglich ist umsatzsteuerlich die Feststellung einer einheitlichen Leistung bestehend aus Haupt- und Nebenleistung, von einzeln zu beurteilenden selbständigen Hauptleistungen oder einer sogenannten komplexen Gesamtleistung eigener Art.
 

Dienstleistungskommission

Häufig werden Live-Streams oder Aufzeichnungen über externe Unternehmen ausgestrahlt bzw. verbreitet. Hier sind im Fall der externen Bereitstellung im eigenen Namen, aber auf fremde Rechnung – auch mittels externer Veranstaltungsportale – grundsätzlich die allgemeinen Vorschriften zur Dienstleistungskommission i. S. d. § 3 Abs. 11 bzw. Abs. 11a UStG zu beachten. In der Folge sind für die Dienstleistungskommission auch die möglichen Umsatzsteuerbefreiungen für das Live-Streaming zu prüfen. Im Fall von vorproduzierten Inhalten besteht, wie oben dargestellt, hingegen bereits im Vorfeld keine Umsatzsteuerbefreiung bzw. -ermäßigung.
 

Praxis-Hinweis

Die Grundsätze sind in allen offenen Fällen anzuwenden, es wird jedoch nicht beanstandet, wenn für Leistungen vor dem 1. Juli 2024 mit Blick auf den Leistungsort oder die Umsatzsteuerbefreiung bzw. -ermäßigung seitens der Beteiligten übereinstimmend von anderen Grundsätzen ausgegangen wurde. Die vorstehenden Ausführungen machen deutlich, dass sich die Abgrenzung zwischen Umsatzsteuerfreiheit und -pflicht bei digitalen Angeboten kompliziert darstellen kann.

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