Höhere Anerkennung von Investitionskosten für Altenhilfeeinrichtungen in NRW möglich

Die „evident unzureichende“ Refinanzierung von Altenpflegeeinrichtungen in Nordrhein-Westfalen bot in der Vergangenheit mehrfach Anlass zu gerichtlichen Streitigkeiten. Eine wegweisende Entscheidung hierzu hat nun nach langer Wartezeit das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen veröffentlicht (Urteil vom 24. November 2022 – L 5 P 60/19).


Der Fall

Die Klägerin betreibt eine stationäre Altenpflegeeinrichtung, die im Jahr 2013 erstmalig in Betrieb gegangen ist. Im streitgegenständlichen Zeitraum (1. September 2013 bis 1. Oktober 2014) galt in Nordrhein-Westfalen die Gesonderte Berechnungsverordnung (GesBerVO 2008). Diese wurde am 2. November 2014 von der APG DVO NRW abgelöst. Der zuständige Landschaftsverband erkannte unter Berücksichtigung der sogenannten „Angemessenheitsgrenze“ nach der GesBerVO 2008 insgesamt 85.250,00 € je Platz an (1.705 € x 50 m² je Platz). Diese Angemessenheitsgrenze wurde in Nordrhein-Westfalen über einen Zeitraum von sechs Jahren (2008 bis 2013) unverändert angewendet. Die Einrichtung klagte auf Anerkennung höherer Werte. Ein vom Ministerium beauftragtes Gutachten der Partnerschaft Deutschland (PD) GmbH vom 16. August 2019 kam zu dem Schluss, dass die seit der Einführung der APG DVO NRW fortgeschriebene Angemessenheitsgrenze nicht auskömmlich war, was die Vermutung zulässt, dass auch die Werte der GesBerVO nicht ausreichend waren.
 

Die Entscheidung 

Das Landessozialgericht folgte der Argumentation der klagenden Einrichtung und stellte klar, dass zwar die in der GesBerVO 2008 getroffene Begrenzung auf den sogenannten Angemessenheitswert grundsätzlich nicht zu beanstanden ist, „denn nur "betriebsnotwendige" Aufwendungen sind gesondert berechnungsfähig, d.h. nur solche, die für eine wirtschaftliche Betriebsführung sachlich erforderlich und der Höhe nach angemessen sind (…).“ Jedoch erkannte das Gericht, dass die vom Verordnungsgeber definierte Angemessenheitsgrenze gegen höherrangiges Recht verstößt und daher zu verwerfen war. Nach Überzeugung des Gerichts war die Erstellung und Inbetriebnahme eines Altenheims, das den gesetzlichen Anforderungen entspricht, unter Zugrundelegung der angegriffenen Angemessenheitsgrenze schlicht nicht möglich.

Die in der APG DVO NRW liegenden Widersprüche fasste das Landessozialgericht passend zusammen: „Während also der Verordnungsgeber bei einem im November 2014 in Betrieb gegangenen Pflegheim einen Wert von 100.011 EUR als notwendig erachtet, um ein den fachlichen Vorgaben entsprechendes Bauvorhaben (einschließlich Einrichtung) realisieren zu können, geht die Regelung der GesBerVO 2008 davon aus, dass eine im Oktober 2014 in Betrieb gegangene Einrichtung mit einem Betrag von 85.250 EUR zu realisieren gewesen ist.“

Das Landessozialgericht entschied, dass die Angemessenheitsgrenze für stationäre Pflegeeinrichtungen ab dem Jahr 2020 nicht zu beanstanden ist, und beruft sich hierbei auf das oben genannte Gutachten, das die Auskömmlichkeit bestätigt. Für Zeiträume bis zum 31. Dezember 2019 muss, ausgehend von den Werten des Jahres 2020, eine Rückindexierung anhand des Baukostenindex erfolgen.

Das Gericht ging schließlich davon aus, dass dem Verordnungsgeber kein nennenswerter Ermessensspielraum bei der Festsetzung der Werte mehr verbleibt und setzte für den streitgegenständlichen Zeitraum den rückindexierten Wert fest. Die Indexierung ist folgerichtig auch für Zentralküchen anzuwenden, so dass hier die Werte steigen.


Praxis-Hinweis

Auch wenn das LSG-Urteil nur einen konkreten Fall betrifft, hat es sich als obergerichtliche Grundsatzentscheidung bereits faktisch auf zahlreiche Pflegeeinrichtungen ausgewirkt. So wurden mit Erlass des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen vom 13. Juli 2023 die Angemessenheitsgrenzen bereits rückindexiert. Vom Urteil nicht betroffen sind grundsätzlich folgende Einrichtungen:

  • Neubauten/Generalsanierungen ab dem 1. Januar 2020
  • Einrichtungen, bei denen die Angemessenheitsgrenze nicht überschritten wurde
  • geplante Neu- und Umbauten

Zu beachten ist, dass eine Anhebung der Angemessenheitsgrenze für die Vergangenheit in vielen Fällen nicht zu Mehreinnahmen für zurückliegende Zeiträume führen wird. Der Verbraucherschutz in § 9 Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG) reglementiert das sozialrechtliche Dreiecksverhältnis streng. Erhöhungen bedürfen einer rechtzeitig (d. h. vier Wochen im Voraus) angekündigten Vertragsänderung. Diese wird in nicht wenigen Fällen fehlen. Nach einer Prüfung der Auswirkungen des hier besprochenen Urteils auf die Altenhilfeeinrichtungen sollte ein Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X gestellt werden. Gerne unterstützen wir Sie hierbei.

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